Die SPD hingegen verlangt einen hartnäckigen Tausch. Die älteste Partei in Deutschland hat historisch eine Niederlage erlitten: Nur mit 16% kam sie auf den dritten Platz, hinter der rechtsextremen Partei AfD. Seither ist die Stimmung in der SPD vergrätzt. Im neuen Bundestag hat die Partei nur noch halb so viele Sitze wie zuvor. Trotzdem besteht sie darauf, dass die Koalitionsverhandlungen “auf Augenhöhe” geführt werden, wie der SPD-Generalsekretär Matthias Miersch es formulierte.
Sie zeigen eine gewisse Hartnäckigkeit, aber auch die Selbstsicherheit, die aus dem Wissen kommt, unerlässlich zu sein. Die CDU/CSU schließt eine Koalition mit der AfD und damit eine bequeme Mehrheit aus.
Unstimmigkeiten in den Verhandlungen
Die CDU/CSU und SPD haben 16 gemeinsame Arbeitsgruppen mit mehr als 250 Verhandlungsführern gegründet. Zehn Tage lang liefen die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, aber Informationen sickerten durch, besonders wenn es nicht gut lief.
Nachdem die Arbeitsgruppen ihre Vorschläge eingereicht hatten, sagte SPD-Chef und Fraktionsvorsitzender Lars Klingbeil in Berlin, dass es völlig normal ist “dass es ein paar Reibungen gibt. Es wäre erstaunlich, wenn es nach einem hart umkämpften Wahlkampf direkt Übereinstimmung gegeben hätte.” CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann äußerte sich ähnlich. Unstimmigkeiten sind normal, sagte er, und fügte hinzu: “Was ich von den Arbeitsgruppen höre, ist erholsam.”
Steuern und Wohlfahrt
Die meisten Streitpunkte ergeben sich aus den Arbeitsgruppen zu Steuern/Finanzen, Sozialpolitik und Migration.
Der Bundestag und Bundesrat haben gerade ein gigantisches Finanzpaket für Verteidigungausgaben und Infrastrukturinvestitionen beschlossen. Und dennoch bleibt das Geld ein Knochenpunkt. So sehr, dass die SPD-Verhandlungsführer vorübergehend den Verhandlungsraum in Protest gegen die Weigerung der CDU/CSU, eine Steuererhöhung für Besserverdienende durchzuführen, verließen.
Die SPD umgekehrt blockiert die Bemühungen der CDU/CSU um Wohlfahrtskürzungen für Flüchtlinge. Die Konservativen wollen soziale Leistungszahlungen an abgewiesene Asylbewerber, die ausgewiesen werden sollen, auf “Bett, Brot, und Seife” reduzieren und auch die Sozialleistungen für ukrainische Flüchtlinge kürzen. SPD-Verhandlungsführer Ralf Stegner sagte der Boulevardzeitung Bild: “Die SPD wird nicht in einen Wettbewerb eintreten, um diejenigen, die nach Deutschland gekommen sind und nichts Unrechtes getan haben, möglichst schlecht zu behandeln.”
Immigration
Während des Wahlkampfs hatten CDU/CSU hohe Erwartungen geweckt und einen “echten Wechsel in der Migrationspolitik” versprochen. Sie versprachen, unerlaubte Einreisen auf Null zu reduzieren und künftige Asylbewerber an der Grenze abzuweisen.
Laut CDU/CSU hat die SPD keine Bereitschaft gezeigt, im Migrationsbereich eine härtere Haltung einzunehmen.
Dennoch ist die CDU/CSU nicht bereit, in der Migration zu kompromittieren. Sie fürchtet um ihre Glaubwürdigkeit. CDU-Generalsekretär Linnemann sagte, es sei klar “dass wir klare Aussagen zur Migration gemacht haben, an die wir heute noch glauben und die wir fest daran glauben, dass sie über Erfolg oder Misserfolg eines Politikwechsels bestimmen werden.”
In ihrem vorläufigen Einvernehmen hatten CDU/CSU und SPD erklärt, dass eine Zurückweisung von irregulären Immigranten an den Landesgrenzen “in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn” stattfinden sollte. Was genau das bedeutet, ist im Migrationsarbeitskreis ein Diskussionsthema.
Für CDU/CSU bedeutet Abstimmung einfach Informieren der Nachbarländer über Aktionen, nicht aber deren vorherige Zustimmung. Die SPD hingegen versteht Abstimmung als Notwendigkeit, mit Nachbarländern über Abweisungen an der Grenze zu einem Konsens zu gelangen.
Eine neue Regierung bis April? Vielleicht nicht
Der Fahrplan für die Koalitionsverhandlungen sieht vor, dass der Lenkungsausschuss nun die Ergebnisse der Arbeitsgruppen prüfen wird. Der Ausschuss besteht aus neun Mitgliedern der SPD-Parteiführung und zehn führenden Politikern der CDU/CSU.
CDU-Chef Friedrich Merz, der wahrscheinlich nächsten Bundeskanzler, hatte die Bildung einer Regierung bis Ostern (20. April) in Aussicht gestellt. Aber derzeit ist weder die CDU noch die SPD bereit, ein spezifisches Datum zu bezingen.
“Wir lassen uns nicht unter Druck setzen”, betonte Linnemann. Im Koalitionswahlkampf “haben Klarheit und Gründlichkeit Vorrang vor Geschwindigkeit.”
Diskussionen über die Zusammensetzung des zukünftigen Kabinetts sollen erst nach Abschluss der Koalitionsvereinbarung stattfinden – aber es sind bereits Gerüchte im Umlauf. Lars Klingbeil hat Verhandlungsführer aufgefordert zusammenzurücken und zu betonen, dass es für alle Beteiligten wichtig ist, “die Verantwortung für unser Land gemeinsam zu tragen.”
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Deutsch geschrieben.
Während Sie hier sind: Jeden Dienstag fassen DW-Redakteure zusammen, was in der deutschen Politik und Gesellschaft passiert. Sie können sich hier für den wöchentlichen E-Mail-Newsletter Berlin Briefing anmelden.